Besuch im Westland: Von Geothermie und Gewächshäusern

Blick auf eine industriell wirkende Anlage, an der ein Banner mit der Aufschrift Green Well Westland zeigt, darauf eine gröffnete Hand mit einer grünlichen Kugel

Der zweite Abschnitt der Bloggerreise zu den Gewächshäusern in Holland führte uns zu einem ganz besonderen Projekt – zu Green Well Westland. Der Energieverbrauch von Gewächshäusern ist deren größtes Problem, in ökologischer wie in ökonomischer Hinsicht. Eine Gruppe von fünf Gemüsebauern, nämlich Zwingrow, Zeurniet, G. Verkade BV, Teun Valstar BV und J.C.M. Mulder, hat sich zu Green Well Westland zusammengeschlossen, und erzeugt hier nun die Energie für ihre Gewächshäuser per Geothermie.

eine auf dem Boden montierte Pumpanlage mit Drehrädern und Manometern

Dafür wurde ein 3 km tiefes Loch in den Boden gebohrt. Aus diesem Loch dringen rund 140 Kubikmeter heißes, recht salzhaltiges Wasser die Stunde, bei ca. 85-90°C. Das Wasser wird durch Wärmetauscher geleitet, in denen es seine Hitze an Süßwasser in den (Fern-) Wärmekreisläufen der Gewächshäuser abgibt, und dann wieder nach unten gepumpt, um sich erneut aufzuheizen, mittels Kraft-Wärme-Kopplung wird außerdem Energie erzeugt. Um die Gewächshäuser der Teilnehmer zu erreichen, wurden 2,3 km Rohrleitungen verlegt – einen Plan sieht man hier.

Die Frage, die sich mir zuallererst stellte, war: was kostet der Spaß?

Die Antwort überraschte mich: gut 12 Millionen Euro hat der Neubau gekostet (und ein paar EU-Fördergelder gab es auch) – eine Summe, die sich nach Aussage unserer Gesprächspartner binnen 5-6 Jahren amortisiert haben wird. Überraschend finde ich vor allem, dass diese Anlage so „billig“ ist – wie Julia von Chestnut & Sage sehr richtig anmerkte, kosten bei uns Wildtierbrücken ja schon 1-3 Millionen Euro

Wie „verdient“ man aber 12 Millionen in 5-6 Jahren? Sicher nicht mit Paprika- und Auberginenanbau alleine – die beteiligten Gemüsebauern sparen satte 5,8 Millionen Kubikmeter Erdgas im Jahr ein, und produzieren 10.500 Tonnen CO2 weniger, eine Reduzierung um 55%. Mit der Geothermieanlage, deren Betriebsdauer vorerst auf 15 Jahre angesetzt wurde, die aber auch evtl. 30 oder 40 Jahre betrieben werden kann, je nach geologischen Bedingungen, erhoffen sie sich ausserdem eine stabile Energieversorgung zu stabilen Preisen, die von Weltmarktpreisen für Gas unabhängig ist – und autark. Mittelfristig wollen sie, soweit möglich, noch andere Produzenten an ihr Projekt anschließen.

Blick in die Geotehrmieanlage, vor allem blaue udn silberne Rohrleitungen

Wirklich viel zu sehen gab es hier aber nicht, und so luden uns die Paprikaanbauer von Zwingrow ein, bei ihnen noch mehr über ihr Verständnis von Nachhaltigkeit zu erfahren. Leider durften wir die orangenen Paprika – nur diese Sorte bauen sie in ihrem Gewächshaus an – nicht in natura besuchen (Keime…), dafür gab es geballte Informationen rund um den Einsatz von Schädlingen und Nützlingen im Gewächshaus.

Entwickelt hat das ganze die Familie Koppert – heute ist Koppert ein Marktführer in Sachen biologischer Pflanzenschutz. Der Gurkenbauer Koppert, der allergisch auf eines seiner Spritzmittel reagierte, musste sich etwas einfallen lassen – und entdeckte, dass Schlupfwespen seine Blattlausprobleme zu lösen vermochten. Was anno 1967 als kleines Unternehmen begann, ist heute ein Weltkonzern. Verschiedene Probenschalen mit einer Vielzahl von Nützlingen, die Koppert heute vertreibt, zeigten, dass diese vor allem aus der Kategorie klein aber oho stammen.

eine Petrischale mit Nützlingen, beschriftet als Orius laevigatus

Wie auch in den Gewächshäusern der Tomatenanbauer wird hier also voll auf biologischen Pflanzenschutz gesetzt. Im Verein mit der nachhaltigen Energieerzeugung aus der Geothermie, witzelt einer unserer Gesprächspartner, sind die Paprika von Zwingrow „mehr bio als bio“, aber sie dürfen bio nicht draufschreiben, wegen der Steinwolle und Nährlösungen, die sie benutzen.

In der folgenden Gesprächsrunde erfahren wir sehr viel über die Geschichte des holländischen Unterglasanbaus – wer hätte zum Beispiel heute noch gewußt, dass im Westland früher Tafeltrauben im Gewächshaus gezogen wurden? Paprika gab es bis in die 60er Jahre in Nordeuropa nur aus Spanien oder Italien, heute ist Gemüsepaprika eins der wichtigsten Exportprodukte der Region.

Natürlich ist die Frage, wie man sein Produkt an den Kunden bringt, auch hier essenziell. Während insbesondere wir Foodies uns mehr Sorten und Abwechslung auf dem Teller wünschen, wollen die Supermärkte am liebsten wenige Artikel anbieten – und die Produzenten produzieren sortenrein. Die große Capsicumvielfalt kann der Unterglasanbau aber ohnehin nicht leisten, dafür fehlt dann die passende Sonne hier in Mitteleuropa.

Nun ist noch einmal das Thema Gesundheit dran. Die orangene Paprika ist nicht bloß sehr süß und lecker, sondern auch „gesund“ – viermal soviel Vitamin C wie in einer Orange versprechen die Anbauer, dazu Betacarotin und Lutein für die Augen – eine echte Powerfrucht. Aber wie die Leute dazu bringen, mehr Paprika zu essen? Neben Verkostungen in Supermärkten und dem Portal Nimm Paprika hoffen die Produzenten auch hier auf die Wirkungen der Minifrüchte. „Snackpaprika“ nennen sie die, aber beim Hineinbeißen begegnen einem dann doch noch Kerne (dafür in den orangenen großen Paprika kaum). So ganz ausgereift ist das noch nicht – doch viele Kunden greifen gern zu den kleinen, niedlichen Paprika mit den knalligen Farben (meist gelb, orange, rot). Und wie auch bei den Tomatenbauern versprechen sich die Produzenten auf dem Lebensmittelmarkt der Zukunft sehr viel von „health claims“. Man darf gespannt sein.

orangefarbene Snackpaprika auf dunkler Oberflaeche

25 Tonnen Paprika verlassen jeden Tag das Gewächshaus von Zwingrow – eine gigantische Menge. Und auch wir verlassen das Gebäude von Zwingrow wieder, denn wir haben noch einen Stopp auf dem Plan.

Im Gewächshaus von Arjan van Onselen dürfen wir wieder ganz nah an die Produktion heran. Die Familie van Onselen produziert hier auf 5,6 Hektar (in EINEM Gewächshaus!) Auberginen – Vater, Bruder, Onkel sind alle im Betrieb, wenn auch der Vater zunächst ein technisches Studium absolviert hat. Nicht die dümmste Idee, schaut man sich die Technik an, mit der hier produziert wird – natürlich haben auch die van Onselens ihre eigene Kraft-Wärme-Kopplungsanlage, und von Bewässerung über Belüftung und Luftentfeuchtung bis zu Schädlingsmonitoring und Ernte wird hier High-Tech eingesetzt. Bestäubt wird dann allerdings wieder „altmodisch“ – 4 Bienenvölker mit je 15.000 Bienen und einer Königin sorgen für reichlich Auberginennachwuchs in diesem Gewächshaus mit den Ausmaßen von ca. 7 Fußballfeldern.

eine Auberginenblüte

Blick in ein Gewächshaus mit Reihen von Auberginenpflanzen

92.000 Auberginenpflanzen recken sich dicht bepackt mit schwarzvioletten Früchten bei molliger Wärme der Sonne entgegen. An allen Pflanzen finden sich kleine Heftchen, in denen beim Pflanzen eine Raubmilbe hauste, die nun auf die Jagd nach Schädlingen geht – auch hier wird mit den Methoden des biologischen Pflanzenschutzes gearbeitet.

dicke schwarze Auberginen hängen an ihrer Mutterpflanze

„Auberginen sind besonders heikel,“ erwähnt Arjan, und erklärt sinngemäß, Tomaten anbauen, das hätten sie früher gemacht, das könne ja jeder, aber Auberginen, das sei wirklich die hohe Kunst. Wir lächeln, und lassen uns die Verpackungsanlagen zeigen. Auberginen – das wusste ich auch nicht – sind immer eßreif, egal wie klein sie sind. Das war auch eine der Fragen die mich beschäftigt hat, wie sieht man es einer Aubergine denn an dass sie reif ist? Aber da sich das Problem nicht ergibt, ist das wichtigste, die Früchte in der passenden Größe zu ernten. Am liebsten mögen die Kunden Auberginen mit ca. 350 Gramm Gewicht.

viele Auberginenüflanzen mit Früchten

Die Pflanzen werden zweimal die Woche abgeerntet, in wechselnden Intervallen je Reihen, so dass die Ernte kontinuierlich ausfällt. „Dicke Oschis“ gehen dagegen schlecht, und kleine Auberginen werden nur geerntet, wenn es sich nicht vermeiden lässt, weil z.B. ein Zweig abgebrochen ist.

kleinere Auberginenfrüchte an der Mutterpflanze

In einer Ecke des Gewächshauses stehen ein paar Tomatenpflanzen, natürlich auch im Substratpack. „Wofür sind denn die?“ wollen wir wissen, und mit einem Lachen kommt die Antwort: „Na für uns!“

Wenn man in Deutschland in einen Supermarkt geht, macht man sich nicht wirklich klar, dass die riesigen Mengen Nahrung, die von Flensburg bis Garmisch in den Läden liegen, ja auch irgendwoher kommen müssen. Aber wenn ich sehe, dass Zwingrow 25 Tonnen Paprika, nur orangefarbene, am Tag erzeugt, oder 92.000 Auberginenpflanzen mit geschätzten 10-20 Früchten je mehrere Meter hoher Pflanze, nur in diesem einen (wenn auch großen) Gewächshaus gedeihen, werden die Dimensionen langsam klarer. Ja, das ist industrialisierte Produktion – weg vom romantischen Bild des Gemüsegärtners, der bei jedem Wetter draussen seinen „Acker“ bestellt. Vielleicht müssen wir dieses Bild auch entromantisieren. Die EU hat über eine halbe Milliarde Einwohner, die ernährt werden wollen. Und wir alle möchten gesundes, leckeres, und auch „sicheres“ Gemüse essen können.

Nach wie vor ziehe ich es vor, mein Gemüse soweit möglich regional zu kaufen, schon weil ich mehr davon habe, dass es „meinen“ Gemüsebauern gut geht und das Geld in der Region bleibt. Mit Projekten wie der Geothermie im Westland – die hoffentlich viele Nachahmer findet – und den umgebungskontrollierten, „sauberen“ Produktionsmethoden der Unterglasanbauer habe ich aber heute deutlich weniger Vorbehalte gegen „Gemüse aus Holland“.

Ideen und Rezepte sowie Infos zu den aktuellen „Marketing“ und Imagepflege-Programmen der holländischen Gemüsebauern und der EU findet man beim holländischen Obst-und Gemüsebüro (in deutsch). Denn auch das wurde bei diesem Besuch überdeutlich: die Deutschen sind die wichtigsten Kunden der niederländischen Gemüsebauern. Wenn sich nur alle Dienstleister so viel Gedanken um ihre Kunden machen würden…

Zum Abschluß unseres Besuches waren wir noch bei Koppert Cress. Das war aber ein so spannendes und „vom anderen Stern“-Erlebnis, dass ich dem später einen eigenen Beitrag widmen will.


Diese Blogger-Reise zu den Gewächshäusern im Westland wurde durch Dederichs Reinecke & Partner, Hamburg, möglich gemacht – in Zusammenarbeit mit der EU-Initiative “Sicher ist lecker”. Die von der EU geförderte Kampagne ist auf drei Jahre angesetzt und informiert über Anbaumethoden und Qualitätssicherungsmaßnahmen des in europäischen Glasgewächshäusern angebauten Gemüses. Ziel ist es, das Vertrauen der Konsumenten in den Verzehr von frischem Gemüse wieder auf das Niveau vor der EHEC-Krise zu bringen.

Teilnehmer: Julia von Chestnut & Sage, Hendrik a.k.a. Wurstsack, Steffen aus der Berliner Speisemeisterei und Yvonne, die auf “Sicher ist lecker” für die Kampagne aktiv ist. Organisiert und begleitet hat das Ganze Katrin Firchau mit sehr viel Liebe zum Detail und Spaß an der Sache – herzlichen Dank!

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